Irina Ruppert

Am Diebsteich

Durch die Verlagerung des Bahnhofs Altona an den Diebsteich wird sich die Gegend um die ehemalige S-Bahnhaltestelle stark verändern. Irina Ruppert, die selbst vor Ort lebt, wird in ihrem Projekt ihre Nachbarinnen und Nachbarn in einer Porträtserie fotografieren, um darin die Besonderheiten des Quartiers und insbesondere die Bewohnerinnen und Bewohner zu thematisieren. Die Jury würdigte mit ihrer Entscheidung die Idee der Fotografin, den Moment der Aufnahme selbst zum Begegnungsort der Menschen am Diebsteich zu machen.
Das Gebiet rund um den Diebsteich war bis zur zweiten Altonaer Stadterweiterung im Jahr 1890 eine grüne Wiese. Altona plante zunächst, dort großbürgerliche Villen zu errichten, was aber nicht umgesetzt wurde. Einzig die Grünflächen, auf denen der Evangelische Friedhof angelegt wurde, und die großzügigen Straßen zeugen noch heute davon. Von West nach Ost schlängelte sich die Isebek, die damals den Diebsteich speiste, der wiederum im 17. oder 18. Jahrhundert angelegt worden war, um eine Mühle anzutreiben. Was den Namen angeht, so vermutet man, dass „Diebsteich“ eine plattdeutsche Bezeichnung für „Tiefer See“ sein könnte. Durch die städtebauliche Entwicklung versiegte der Diebsteich 1913 endgültig. Anstelle von Prunkbauten entstanden in den 1920er Jahren rund um das ehemalige Gewässer Arbeiterwohnungen, ein Industrie- und Gewerbegebiet sowie Sport- und Freizeitanlagen. Heute prägen auch das Brief- und Paketzentrum, Schrebergärten und Steinmetze das Gebiet. Im Jahr 2026 soll der neue Regional- und Fernbahnhof Hamburg-Altona am heutigen S-Bahnhof Diebsteich eröffnet werden und dem Gebiet mehr Zentralität verschaffen. Ziel Stadtplaner ist, das Viertel zu einem modernen und urbanen Quartier zu entwickeln. Ich selbst lebe seit 30 Jahren in der Straße Am Diebsteich, und seit die Planungen zur Umgestaltung des Bahnhofs konkrete Formen angenommen haben, ist eine Veränderung der Atmosphäre deutlich spürbar. Da gibt es den Roma- und den Mennoniten-Friedhof. Da gibt es eine Künstler- und mehrere Werkstättengemeinschaften, Blumenhändler, einen Fundus für Requisiten, den Gebrauchtwarenladen Stilbruch, einen spanischen und einen italienischen Lebensmittelgroßmarkt. Da gibt es ein Diebsteich-Cafe „Buena Vista“. Was wird geschehen mit diesen Menschen, Flächen und Gebäuden? Wird der Friedhof am Bahnhof weichen müssen, werden die Schrebergärten und das Diebsteich Cafe schließen müssen? Initiativen haben sich bereits zusammengetan, um gegen die Veränderungen vorzugehen. Wenn um 17 Uhr die Gewerbetreibenden Feierabend machen, scheint es so, als wäre das Gebiet ausgestorben, verlassen, irgendwo außerhalb der Stadt liegend. Doch da gibt es auch Wohnungen, und da lebt zum Beispiel Ute, eine Frau um die 60, gebürtige St. Paulianerin, die bei ihren Spaziergängen mit ihrer Französischen Bulldogge Alma den nachbarschaftlichen Austausch im Gang hält. Da gibt es Gerold, der früher Polizist war und jetzt im Schrebergarten Unkraut rupft. Und da gibt es Herrn Cornels, der schon in der dritten Generation die Friedhofgärtnerei betreibt.
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